HORIZONTE                  

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Stefan Canham




WiSe 17/18


„Wie die Silhouette eines Dorfes erheben sich die Wagen aus dem Feld. Anders als in der Stadt, wo sich Bauwagenplätze meist an den Übergängen von Wohn- zu Industriegebieten verstecken, ist das Wagendorf Fango weithin sichtbar. Vor sechs Jahren stand ein Teil dieser mobilen Wohnungen noch auf Grabeland, ein anderer auf einem Grundstück der Lüneburger Universität. In beiden Fällen mussten sie Neubauten weichen. Um einen weniger prekären Ort für ihre Wohnform zu finden, schlossen sich die Bauwagenbewohner zusammen und traten in Verhandlung mit den Behörden. Das Unwahrscheinliche gelang: stadtauswärts, dort, wo der Masterplan eine Frischluftschneise vorsieht, in der keine mehrstöckigen Bauwerke errichtet werden dürfen, wurde Platz für ein Wagendorf gefunden; und anstelle der kleinlichen Gängelung, mit der Verwaltungen üblicherweise Bauwagenplätzen begegnen, schrieb Lüneburg in der Präambel des unbefristeten Vertrags fest, dass auf dem „ca. 9.000 qm großen Stellplatz für Bauwagen und sonstige fliegende Bauten eine alternative Wohn- und Lebensform zulässig und möglich werden soll.“ Die Außenaufnahmen der Fotoserie „Fango“ zeigen eine in der Stadt kaum denkbare Dynamik: im Eigenbau wird die spontane Architektur der Wagen den sich über die Zeit wandelnden Bedürfnissen der Bewohner angepasst; sogar die Anordnung der Wagen und Gemeinschaftsflächen zueinander ist grundsätzlich variabel. Auch die Innenaufnahmen zeigen zum Teil Räume, die noch im entstehen sind, und so auf die grundsätzliche Möglichkeit der Veränderung verweisen. In der Lücke zwischen Stadt und Land erscheint das Wagendorf als ein Ort utopischen Potentials.“

Stefan Canham wurde 1968 in England geboren, studierte Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und arbeitet seit 1995 freiberuflich an dokumentarischen Foto- und Fernsehprojekten. 2003 war er Stipendiat des Schleswig-Holsteinischen Künstlerhauses in Eckernförde. Seine Serie „Bauwagen / Mobile Squatters“ wurde für den 3. Internationalen Bauhaus Award nominiert und von Peperoni Books (Berlin) als Fotobuch veröffentlicht. 2007–08 arbeitete er als Artist-In-Residence bei Art and Culture Outreach in Hongkong zusammen mit der Architektin Rufina Wu an „Portraits from Above – Hong Kong’s Informal Rooftop Communities“. Das Projekt gewann den 5. Internationalen Bauhaus Award 2008 in Dessau, den WYNG Masters Award 2012 in Hongkong, und wurde in zahlreichen Ausstellungen in Europa, Asien und Nordamerika präsentiert. Das gleichnamige Buch erschien bei Peperoni Books (Berlin), MCCM Creations (Hongkong) und PARCO (Tokyo). Über das Thema der Migration zwischen Deutschland und Vietnam veröffentlichte Canham zusammen mit Nguyen Phuong-Dan das Buch „Die Deutschen Vietnamesen“ (Peperoni Books, Berlin 2011).


Plakat: Jakob Tress